Begabungs- und Begabtenförderung in der Praxis

Marcel Haag arbeitet an der Primarschule Birsfelden als BBF-Lehrperson. Die BBF-Schülerinnen und Schüler kommen aus drei Schulhäusern für je 2 Lektionen pro Woche in den Pullout-Unterricht. Das heisst, sie verlassen während dieser Zeit den Klassenunterricht und kommen ins Pullout-Zimmer. Hier arbeiten sie an eigenen Projekten, die sie gemäss ihren Interessen und Neigungen auswählen. Ein Projekt dauert von wenigen Wochen bis zu einem Jahr. Der Pullout-Unterricht in Birsfelden orientiert sich an den 9 Intelligenzen von Howard Gardner sowie der Taxonomie nach Benjamin Bloom. Das SEM (School Enrichment Model) nach Renzulli/Reis ist das zugrunde liegende Fördermodell (siehe unten). 

BBF - Ein bisschen Theorie

School Enrichment Model (SEM) nach Renzulli/Reis

Die 9 Intelligenzen nach Howard Gardner

Howard Garners stellte die Theorie der multiplen Intelligenzen 1983 in seinem Buch "Frames of Mind, the Theory of Multiple Intelligences" vor.

 

Die 9 Intelligenzen sind:

 

1. Sprachlich-linguistische Intelligenz

Zur sprachlichen Intelligenz gehören die Sensibilität für die gesprochene und die geschriebene Sprache, die Fähigkeit, Sprachen zu lernen, und die Fähigkeit, Sprache zu bestimmten Zwecken zu gebrauchen. Erfolgreiche Rechtsanwälte, Redner, Schriftsteller und Dichter zählen zum Kreis der Personen mit hoher sprachlicher Intelligenz.

 

2. Logisch-mathematische Intelligenz

Zur logisch-mathematischen Intelligenz gehört die Fähigkeit, Probleme logisch zu analysieren, mathematische Operationen durchzuführen und wissenschaftliche Fragen zu untersuchen. Von der logisch-mathematischen Intelligenz machen Mathematiker, Logiker, Programmierer und Naturwissenschaftler Gebrauch.

 

3. Musikalisch-rhythmische Intelligenz

Musikalische Intelligenz bedeutet die Begabung zum Musizieren, zum Komponieren und Sinn für die musikalischen Prinzipien. Berufe: Musiker, Musiklehrer, Komponist, Arrangeur, Tontechniker, Akustiker etc.

 

4. Bildlich-räumliche Intelligenz

Zur räumlichen Intelligenz gehört der theoretische und praktische Sinn einerseits für die Strukturen großer Räume, die zum Beispiel von Seeleuten und Piloten zu erfassen sind, andererseits aber auch für das Erfassen der enger begrenzten Raumfelder, die für Bildhauer, Chirurgen, Schachspieler, Ingenieure, Graphiker oder Architekten wichtig sind.

 

5. Körperlich-kinästhetische Intelligenz

Die körperlich-kinästhetische Intelligenz enthält das Potenzial, den Körper und einzelne Körperteile (wie Hand oder Mund) zur Problemlösung oder zur Gestaltung von Produkten einzusetzen. Vertreter dieser Intelligenz sind Tänzer, Schauspieler und Sportler. Wichtig ist diese Form der Intelligenz aber auch für Handwerker, Chirurgen,

Mechaniker und Angehörige vieler anderer technischer Berufe.

 

6. Interpersonale Intelligenz

Als interpersonale Intelligenz wurde die Fähigkeit bezeichnet, auch unausgesprochene Motive, Gefühle und Absichten anderer Menschen nachempfindend zu verstehen (vergleichbar mit Empathie) und deren Stimmungen und Emotionen zu beeinflussen. Diese Fähigkeit ist eine wesentliche Voraussetzung für den erfolgreichen Umgang mit anderen Menschen. Gardner sieht diese Fähigkeiten bei politischen oder religiösen Führern, bei geschickten Eltern und Lehrern sowie bei anderen beratenden oder heilenden Berufen besonders stark ausgeprägt.

 

7. Intrapersonelle Intelligenz

Die intrapersonelle Intelligenz ist die Fähigkeit, die eigenen Gefühle, Stimmungen, Schwächen, Antriebe und Motive zu verstehen und zu beeinflussen. Diese Personen haben nach Gardner ein zutreffendes mentales Modell ihrer Persönlichkeit, das ihnen hilft, in verschiedenen Situationen die eigenen Verhaltensweisen zu antizipieren. U.a. besitzen Fakire in diesem Bereich besondere Fähigkeiten, aber auch Philosophen, Manager und Schriftsteller.

 

8. Naturalistische Intelligenz

Die naturalistische Intelligenz umfasst die Fähigkeit, Naturphänomene zu beobachten, zu unterscheiden, zu erkennen, sowie eine Sensibilität für sie zu entwickeln. Diese Fähigkeit ist für Naturforscher, Umweltspezialisten, Tierärzte und Köche wichtig.

 

9. Spirituelle Intelligenz

Sie kann definiert werden als philosophische Fähigkeit, Einsichten zu haben in Fragen der menschlichen Existenz, Bedeutung des Lebens und des Sterbens, Fragen des Bewusstseins und der Erkenntnis. Religiöse und spirituelle Oberhäupter verschiedener Bewegungen brauchen diese Intelligenz.

 

Taxonomie-Pyramide nach Benjamin Bloom

Bild: Copyright © www.uni-wuerzburg.de/lehre/lehren/lernziele/

Die Taxonomie von Benjamin Bloom ist ein klassisches Modell zur Klassifizierung von Lernzielen und Bildungsinhalten. Benjamin Samuel Bloom, geboren 1913 in Pennsylvania, war amerikanischer Kognitionspsychologe und Erziehungs-wissenschaftler. Er entwickelte die Klassifikation kognitiver Lernstufen, die Lerntaxonomien. Dabei unterschied er drei Bereiche: die kognitiven, die affektiven und die psychomotorischen Taxonomien. Vor allem seine Lernziel-Taxonomie im kognitiven Bereich wurde weltbekannt. Sie befasst sich mit der Verarbeitung und Anwendung von Informationen auf einer höheren sinnstiftenden Ebene. Es geht um die Förderung von höheren Denk- und Problemlösefähigkeiten. Jede Lernstufe baut auf der darunterliegenden auf. Lernen ist nur dann effektiv möglich, wenn die basalen

Fähigkeiten der unteren Stufen erlangt worden sind. Die Taxonomie wurde im Jahr 2001 von Anderson und Krathwohl überarbeitet, wobei die Struktur und die Begriffe angepasst wurden. Die höchste Stufe der ursprünglichen Taxonomie, "Bewerten", wurde durch "Erschaffen" ersetzt. Dies unterstreicht die

Bedeutung von Kreativität und Innovation im Lernprozess. Heute wird fast ausschließlich diese überarbeitete Version verwendet. Die revidierte Taxonomie bietet eine größere Flexibilität bei der Gestaltung von Lernzielen und ermöglicht es, komplexere Lernprozesse zu beschreiben.

 

Auf der untersten Stufe steht das "Erinnern". Dazu gehören Faktoren wie: definieren, vervielfältigen, auflisten, auswendig lernen, wiederholen, angeben etc.

 

Darauf aufbauend kommt die nächste Stufe "Verstehen", was so viel bedeutet wie Ideen oder Konzepte in eigenen Worten wiedergeben. Passende Verben sind: klassifizieren, beschreiben, diskutieren, erklären, identifizieren, lokalisieren, erkennen, berichten, auswählen, übersetzen.

 

In die "Zone nächster Entwicklung" (Vygotsky, 1978) fällt die Stufe "Anwenden": Informationen in neuen Situationen nutzen. Passende Verben sind: ausführen, umsetzen, lösen, verwenden, demonstrieren, interpretieren, operieren, planen, skizzieren.

 

Auf der Stufe "Analysieren" geht es u.a. darum Verbindungen zwischen Ideen

herzustellen. Tätigkeiten dazu sind: differenzieren, organisieren, in Beziehung setzen, vergleichen, kontrastieren, unterscheiden, untersuchen, experimentieren, fragen.

 

Die Stufe "Beurteilen" wird auch mit "Evaluieren" bezeichnet: Basierend auf denLernmaterialien einen Standpunkt rechtfertigen. Dies umfasst: einschätzen, argumentieren, verteidigen, beurteilen, auswählen, unterstützen, bewerten, kritisieren, abwägen.

 

Die Stufe "Schaffen" (englisch "Synthesize") bedeutet, etwas Neues aus dem aufgebauten Wissen zu kreieren, eine neue oder originelle Arbeit zu entwickeln. Dazu passen Begriffe wie: entwerfen, zusammenstellen, konstruieren, mutmaßen, entwickeln, formulieren, verfassen, untersuchen.